Brauchen Roboter Rechte? – 25 Fragen zur Gegenwart (6/25)

Vom Anderssein über die Auf­fächerung und Bewertung von Funktionen bis hin zur Nacktheit von Maschinen – letztlich geht es um die Frage, wer Verant­wortung über­nehmen kann. Ein Gast­beitrag von Manuela Naveau.

© Lukas Weidinger

Ein Ereignis nach dem anderen jagt unsere Aufmerks­amkeit. Die Situation in der Ukraine rüttelt an den euro­päischen Grund­festen, und schneller als erwartet finden wir uns in einer Welt, in der aufgerüstet wird. Von einer Zeiten­wende ist die Rede, die kürzlich vom deutschen Bundes­kanzler Olaf Scholz ausgerufen wurde. Der Alltag von uns Euro­päer*innen ist verblüffend schnell von existenziellen Frage­stellungen bestimmt und es scheint ein Luxus zu sein, sich über Rechte und Pflichten von Robotern Gedanken zu machen. Oder doch nicht?

Das Anderssein

Im November 2018 erschien bei MIT Press die Publikation »Robot Rights« von David J. Gunkel, der auf Fragen zur Ethik in Bezug zu neuen Techno­logien spezialisiert ist. Er untersucht in seinem Buch die soziale Situation von Robotern und die Möglich­keiten und Heraus­forderungen, die sie für bestehende moralische und rechtliche Systeme darstellen. Gunkel bezieht sich vor allem auf Social Robots und Roboter als anthropo­morphe Körper und vertritt einen relationalen Ansatz betreffend die Handlungs­fähigkeit und den Status von Robotern. Er unterscheidet zwischen Robotern als Körper, als Werkzeug, als Objekt, als Arbeiter*in oder als Gefährt*in und stellt vor allem die Frage nach »Otherness«, dem Anderssein.

Die Frage nach dem Anderssein ist für Gunkel eine Beziehungs- und Haltungsfrage, eine Form des Interesses an anderen, der Sensibili­sierung in Bezug auf andere und der Einbe­ziehung anderer – sei es ein anderes menschliches Wesen, ein Tier, die Umwelt, die Maschine. Gunkels Meinung nach veran­lassen Maschinen uns zum Umdenken, um methodisch die Grundlagen zu überdenken, auf denen unsere ethischen Positionen beruhen. Denn für ihn ist – »trotz aller Neuerungen in der Moral­philosophie, die dem menschlichen und nicht­menschlichen Anderen einen gewissen Anspruch auf moralischen Status erhoben haben« – der Ausschluss der Maschine das letzte gesell­schaftlich akzeptierte moralische Vorurteil, wie er bereits im 2007 veröffent­lichten Aufsatz »Thinking Otherwise: Ethics, Technology and Other Subjects« festhielt.

Das Zeugs

Andererseits ist es gerade jetzt so wahnsinnig wichtig, dass wir Roboter vor allem als Maschinen verstehen. Die Unterscheidung in ihren Funktionen: Social Robots versus Industrie­roboter versus intelligente, automatisierte Systeme versus … Die Liste kann gerne eigenständig weiter­gedacht werden. Es stellt sich die Frage, inwieweit menschen­ähnliche Maschinen­wesen oder telematische Androiden wie zum Beispiel Erika und andere Androiden von Hiroshi Ishiguro, dem Leiter des Intelligent Robotics Laboratory der Universität in Osaka, nicht auch als clever (und teuer) ausge­arbeitete Körper rund um Sprach­erkennungs- beziehungs­weise intelligente Kamera- und Lautsprecher­systeme zu sehen sind.

Manuela Naveau, Professorin an der Kunstuniversität Linz © Anette Friedel

Und im Sinne Jean Baudrillards stellt sich die Frage: Was ist der »technische Kern und was Beiwerk, Gadget, formelles Indiz«? Baudrillard unterschied bereits Ende der 1960er-Jahre bei Robotern in Maschine und Zeugs, wobei die Maschine eine reale Funktion besitzt und das Zeugs eine imaginäre. Und er meint weiters: »Die Tauglichkeit des Zeugs ist in der Wirklich­keit minimal, aber im Imaginären zauberhaft.«

Diese Auffächerung und diese Bewertung von Funktionen spielen nicht erst seit dem Essay »The Uncanny Valley« (»Das unheimliche Tal«) von Masahiro Mori, einem japanischen Robotiker, der in den 1970er-Jahren erstmals von der Akzeptanz von Robotern in der Zusammen­arbeit mit Menschen sprach, eine Rolle. In der Forschung – im Besonderen zu auto­matisierten Systemen wie selbs­tfahrenden Fahrzeugen – wurde hier ein Schwer­punkt nicht nur auf die Akzeptanz von Maschinen und Interfaces gesetzt, sondern auf das Gefallen derselben. Aber auch Social Robots, die in Alten-, Kranken- und Pflege­heimen eingesetzt werden oder die für Kinder im Bildungs­bereich zum Einsatz kommen, haben ihre Relevanz, weil es vor allem um ihre soziale Funk­tion geht.

Die Nacktheit

In Zeiten von Pandemie, Kriegen, Wert­verschiebungen und weltweiten existenziellen Frage­stellungen tritt jedoch die Nacktheit vernetzter Maschinen in den Vordergrund: automatisierte Drohnen, unbemannte Flugzeuge, fern­kontrollierte Raketen und Bomben. Maschinen ohne »Zeugs«, da sie nicht gefallen müssen, sondern rein auf ihre Funktion beschränkt sind. Über­zeugt davon, dass Technologie nicht ohne den Menschen und ihre Umwelt gedacht werden kann, plädiere ich für eine Nackt­heit, die ohne Beiwerk und ungeschönt in Frage stellt, wer Verant­wortung über­nehmen kann. Und ich bin der Meinung, dass uns diese Agenda nicht aus der Hand genommen werden soll.

Manuela Naveau ist Professorin in der Abteilung Interface Cultures am Institut Medien der Kunst­universität Linz.

Anlässlich unseres 25-Jahr-Jubiläums haben wir uns in The Gap 192 »25 Fragen zur Gegenwart« gestellt. Dieser Beitrag beantwortet eine davon.

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